Wie das Web 3.0 bereits jetzt Marketingwelten formt

Der Einfluss der großen Tech-Konzerne schwindet und gibt dem Content Creator die Kontrolle über seine Inhalte wieder; alle Informationen sind frei einsehbar, jeder User hat die volle Verfügung über seine Daten und die damit verbundene Identität. Klingt fast zu gut, um wahr zu sein - aber was ist dran an diesen Voraussagen?
Web 3.0 - Was steckt dahinter?
Die neue Form des Internets, deren Einzug viele Experten vorhersagen und bereits beobachten, ist eine dezentralisierte Variante der digitalen Welt, die wir bereits kennen. Das Web 3.0 basiert auf Kryptowährungen und Blockchains, die theoretisch jedem User frei zugänglich sind, ohne dass dritte Plattformen involviert sind. Durch direkten Austausch und interaktive Communities wird das Web 3.0 zum “Internet des Besitzes und der Kollaboration” (Lehman, Förtsch 12). Hier wird die Beziehung zwischen Produkt und Konsument intensiviert, das heißt, der User kann in Form von Besitzanteilen oder Feedback in Echtzeit aktiv am Produktionsprozess teilhaben.
Im zweiten Atemzug wird in Zusammenhang mit der Thematik meist das Virtual Reality Projekt “Metaverse” erwähnt, das Tech-Gigant Facebook bereits seit Jahren plant und ausbaut. Dabei geht es in den Grundzügen des Web 3.0 eigentlich gerade darum, ebenjene übermächtigen Instanzen wie Facebook, Amazon und Co in ihrem Einfluss einzuschränken und die Kontrolle zurück dahin zu geben, wo sie ursprünglich liegt: nämlich beim User und demjenigen, der diesem seinen Inhalt anbietet.
Power to the People?
Die technischen Grundlagen des Web 3.0 sind komplex, verändern sich schnell und dynamisch und sind nicht gerade einsteigerfreundlich. Vereinfacht ausgedrückt erlauben NFTs und Blockchains den verifizierten und offen einsehbaren Besitz eines Inhalts. Das können beispielsweise Texte oder Kunstwerke sein, die digital verbreitet werden. Der Besitzer des Inhalts kann hier das volle Recht über sein Produkt beibehalten, sodass er bei jedem Weiterverkauf einen anteiligen Gewinn ausgezahlt bekommt. Andersherum kann auch ein User Anteile an einem Produkt oder einem Unternehmen erwerben - zum Beispiel in Austausch für gehaltvolle Interaktion oder Aktivitäten innerhalb einer Community. Durch eine große Anzahl dieser fragmentierten Beziehungen und Interaktionen sinkt die Bedeutung von großen Drittplattformen, wie etwa YouTube oder PayPal. Produzenten und Konsumenten brauchen keine Plattformen mehr, die ihre Inhalte bereitstellen oder die Zahlungen abwickeln, dieser Austausch geschieht nun sozusagen face-to-face - und dabei vollkommen digital.
Schlechte Zeiten für etablierte Medienhäuser?
Für die Betreiber ebenjener Drittplattformen, beispielsweise Verlagshäuser, klingt das neue Konzept erst einmal bedrohlich. Sollte das Web 3.0 in seinen Möglichkeiten und Reichweiten wachsen, so würde dies eine starke Machtverschiebung innerhalb der medialen Welt bedeuten, da, so Phillip Sandner in einer Untersuchung der Medien.Bayern GmbH, “der Wert dort bleibt, wo der Creator etwas geschaffen hat.” (S. 14). Spürbar sind diese Tendenzen jedoch auch schon heute, im Web 2.0 der Drittplattformen: der Medienkonsum der 12-18 Jährigen zeigt sich laut der Studie bereits stark fragmentiert. Vor allem in sozialen Netzwerken und im Wirkungsspektrum des Influencings übertreffen persönliche Beziehungen und interaktive Bindung den Einfluss von großen Marken und Konzernen. Diese Beobachtung machen auch die befragten Experten der Studie: eine Revolution von heute auf morgen wird das Web 3.0 wohl nicht auslösen. Vielmehr verstärken sich vorherrschende Tendenzen, die medial bereits mit dem Aufstieg des Internets spürbar wurden. Der Einfluss von großen Distributoren wird womöglich schwinden, während fragmentierter Konsum durch technische Voraussetzungen immer leichter möglich wird. Eine Entwicklung, auf die sich Medienhäuser vorbereiten können - und sollten.
Das Zauberwort ist altbekannt...
...und es lautet Social Media. Keine andere Anwendung aus dem Web 2.0 kommt so nah an den Gedanken des neuen Internets heran: denn auch hier geht es um direkte Interaktion und den Aufbau einer Community. Während die technischen Voraussetzungen für das Web 3.0 ohne Vorkenntnisse schwer zu erschließen sind und vor allem durch Kollaboration mit findigen Tech-Experten ausgebaut werden sollten, kann eine gute Social Media Strategie zu inhaltlichen Fortschritten führen. Eine konzeptionelle Studie, die von F.J. Garrigos-Simon und weiteren Autoren durchgeführt wurde, sieht enge Zusammenhänge zwischen dem Web 3.0 und heutigen Marketing-Strategien im Bereich Social Media. Hier wird vor allem die Rolle des Community Managers bedeutsam, der nicht nur das Unternehmen im direkten Austausch mit den Usern vertritt, sondern auch eben jene Interessen zurück an das Unternehmen spiegelt. Der Aufbau einer interaktiven Community, die auf direktem Weg am eigenen Produkt mitwirkt, ist eine wirksame Strategie, um sich im Wandel der digitalen Medien zu behaupten. Tatsächlich steckt das Web 3.0 noch in den Kinderschuhen und wird wohl noch einige Jahre brauchen, bis es seine Auswirkungen und Veränderungen vollends offenbart.
Marketingverantwortliche sollten ein wachsames Auge auf diese Entwicklungen haben, offen für neue Impulse sein und Freiräume schaffen, die auf den ersten Blick vielleicht gegenläufig zu etablierten Systemen wirken. Selbst wenn sich das Web 3.0 nicht langfristig behauptet, so scheinen emotionale, bidirektionale Beziehungen zu Konsumenten dennoch die zukunftsweisende Strategie für eine langfristige Behauptung in der digitalen Welt zu sein.
Quellen:
Garrigos-Simon, F.J., Alcami, R.L., Ribera, T.B.: Social networks and Web 3.0: their impact on the management and marketing of organizations, in: Special Issue: Brokering knowledge in the management field - INBAM 2012, 50(10), pp. 1880-1890.
Lehman, K., Förtsch, M.: Web3 – Was kommt auf die Medienbranche zu? Eine Studie von 1E9 und XPLR: MEDIA in Bavaria, München 2022.
Zum Weiterlesen:
IBM: Was ist Blockchain-Technologie?
XPLR MEDIA: Web3-Studie: Was kommt auf die Medienbranche zu?