Warum Unternehmen feministisch werden - und keine Wahl haben

Gerne mit einem Smartphone in der Hand. Denn noch viel mehr als Männer, treffen besonders junge Frauen, mit 83 Prozent, ihre Kaufentscheidungen im Internet. 24 Prozent von ihnen empfehlen über die sozialen Kanäle Produkte oder Dienstleistungen. Warum der weibliche Teil der Bevölkerung über Erfolg und Misserfolg Ihres Unternehmens entscheidet und wie Sie Frauen als Zielgruppe für sich gewinnen, erfahren Sie in diesem Beitrag.
„Frauen sind das neue China.“ Mit seinem Statement hat Daimler-Chef Dieter Zetsche 2015 die – zumeist männlichen – Manager der Automobilindustrie wachgerüttelt. Zugleich hat er aber auch eine gesellschaftliche Diskussion angestoßen. Denn aus Marketingsicht sind Frauen bis heute oft nur eine erotische Zutat für Werbekampagnen. Was hat sich seit 2015 geändert? Einiges. Aber immer noch zu wenig.
Werbekampagnen so stumpf wie ein altes Rasiermesser.
Einfallsreiche Slogans wie „Tiefstpreise: Süßer die Glocken nie klingen“, garnieren Werbeplakate, auf denen junge Damen tiefe Einblicke geben. In ihr Dekolletee, aber auch in die Denkweise vieler Marketingagenturen. Der Fantasie der Kreativbranche sind dabei keine (Geschmacks-)Grenzen gesetzt. Sie leiden unter dem Fachkräftemangel? Mit der Headline „Frischfleisch gesucht“, werden Sie sicher fündig. Gut, vielleicht ist Ihnen die Qualifikation der Bewerberinnen nicht so wichtig. Dann reicht eventuell auch ein augenzwinkerndes „Mit der Figur brauch ich kein Abitur“. Beide Slogans mitsamt Bildern leicht bekleideter Teenager zieren nicht die Eingangstür des örtlichen Stripclubs, sondern Kampagnen von Edeka und der Sportkette Fitnessland.
Schlechter Stil und Ignoranz sind geschäftsschädigend.
Extrembeispiele? Wohl eher die Spitze des Eisbergs. Auch internationale Konzerne wie Lidl, Dolce & Gabbana oder Bosch setzen auf ein Frauenbild, das schon in den frühen 80er-Jahren überholt war. Frauen sind sozusagen die Weisheitszähne der Werbeindustrie. Man weiß, dass sie da sind, kann aber wenig mit ihnen anfangen und wenn man sie vernachlässigt, tut es weh. Und zwar in der Bilanz.
Neuland hat zwei X-Chromosomen.
Warum also sollten sich Unternehmen und Werbeagenturen abseits der Kosmetikindustrie überhaupt näher mit Frauen als Zielgruppe beschäftigen? Ganz einfach: Frauen treffen 80 Prozent der Kaufentscheidungen – und das betrifft das Müsli genauso wie den Mercedes. Und jetzt wird auch klar, wie sich Dieter Zetsche zu seiner Aussage hinreißen lassen konnte: Gerade einmal 18 Prozent der Frauen würden sich ein Auto mit Stern zulegen. Die Chance, dass der nächste Familienwagen ein Mini oder Mazda wird – und eben kein Mercedes, ist damit sehr hoch. Zu hoch. Für die Autobauer aus Stuttgart ist Gleichberechtigung damit kein Thema für die „Emma“, sondern eine Frage des wirtschaftlichen Überlebens.
Frauen und Technik.
Gerade komplexe Produkte wie Autos, Handys oder der neue Rasenmäher-Roboter können nur schwer mit herkömmlichen Marketing-Methoden beworben werden. Anzeigen, Mailings und TV-Spots sind hier einfach nicht genug. Viel wichtiger ist die Mundpropaganda. Und Sie wissen ja – ein Mann ein Wort, eine Frau ein Wörterbuch. Gut, ganz so einfach ist es nicht. Studien haben aber bewiesen, dass mehr als 80 Prozent der Frauen dazu bereit sind, Erfahrungen zu teilen und Produkte, die sie selbst für gut befunden haben, weiterzuempfehlen. Besonders junge Frauen entdecken viel früher als Männer Trends in den sozialen Netzwerken und sind bereit, neue Kanäle intensiv zu nutzen. Mit 68 Prozent sind auch die meisten Influencer, die auf ihren Profilen Produkte bewerben, Frauen.
Natürlich werden auch schlechte Erfahrungen an Freunde, Bekannte und Kollegen kommuniziert. Diese Tatsache gewinnt durch die steigende Nutzung der sozialen Netzwerke sogar noch an Bedeutung. Schlechte Bewertungen bei Amazon oder Google lassen sich nicht durch eine schicke Werbekampagne wegretuschieren.
Bambi ist nicht farbenblind.
Ein Unternehmen, das im 21. Jahrhundert erfolgreich wirtschaften möchte, sollte Frauen also auf Augenhöhe begegnen. Es geht dabei nicht um eine Bevorzugung. Es geht um Gleichbehandlung. Nicht mehr und nicht weniger. Es ist egal, ob eine Gesichtscreme oder der neue Barbecue-Grill beworben wird. Wer verkaufen will, muss Frauen als Zielgruppe ernst nehmen. Dazu gehört auch, dass Hersteller von Jagdbekleidung ihr Sortiment für Frauen nicht auf Hosen mit rosa Tarnfleckmuster beschränken (kein Scherz!). Oder geht der gestandene Jägersmann mit neongelber Regenjacke auf die Pirsch? Eben.
Es gibt nicht „die“ Zielgruppe Frau.
Überraschung: Auch Frauen lassen sich in höchst unterschiedliche Käufergruppen unterteilen. Junge Mädchen, die heiß auf die neue Markenjeans sind, Mütter, auf der Suche nach dem perfekten Familienauto oder die erfolgreiche Managerin, die ihren Urlaub im 5-Sterne Hotel buchen möchte, sind nur einige Beispiele für die Vielfalt der Zielgruppe Frau. Ich nehme hier keine Bewertung vor. Jede Zielgruppe hat ihre Berechtigung und muss individuell angesprochen werden. Wie das in der Praxis funktioniert? Hier einige Vorschläge:
- Überdenken Sie Ihr Frauenbild.
Und damit meine ich nicht allein die männlichen Leser dieses Beitrags. Auch Frauen selbst haben häufig noch veraltete Rollenbilder im Kopf. An dieser Stelle noch ein Hinweis: Wer sich für Kinder, Küche, Kirche entscheidet, hat jedes Recht dazu. Jeder darf und soll auf seine Weise glücklich werden. Wenn sich eine Frau aber lieber für Karriere, Kompetenz und Konsum entscheidet, sollte dies auch von den Unternehmen berücksichtigt werden. - Der Kunde ist Königin.
Frauen investieren mehr Zeit in die Suche nach dem passenden Produkt. Während viele Männer auch spontan zugreifen, recherchieren Frauen nach Alternativen und vergleichen Preise. Unternehmen, die Transparenz zeigen und umfassend über ein Produkt oder eine Dienstleistung informieren, haben bessere Chancen, Kundinnen zu überzeugen. Dazu gehört auch ein umfassender Service in Form von Rund-um-Sorglos-Paketen, die eine echte Entscheidungshilfe bieten. - Behandeln Sie Frauen auf Augenhöhe.
Typische Verkaufssituation: Ein Paar betritt einen Heimwerkermarkt und bittet den Berater um Hilfe. Nach einer kurzen Begrüßung richtet sich der Angestellte des Baumarkts im Verlauf des Gesprächs vorzugsweise an den Mann. Das es die Frau war, die den Impuls gegeben hat, dort einzukaufen und letztendlich auch die Entscheidung zum Kauf gibt, wird viel zu häufig gar nicht in Erwägung gezogen. Tappen Sie nicht in diese Falle und schulen Sie Ihr Personal bei Bedarf entsprechend. - Unterschätzen Sie nie die fachliche Kompetenz einer Frau.
Der Baumarkt ist nur ein Beispiel. Machen Sie als Mann doch einmal den Selbstversuch. Gehen Sie mit ihrer Partnerin in einen Elektronikfachhandel, das Autohaus oder in ein Reisebüro. Vermutlich wird es so laufen: Der oder die Beraterin bespricht mit Ihnen die technischen und finanziellen Details. Also die Aspekte, auf die es ankommt. Ist dieser Part erledigt, darf sich ihre Frau mit der Farbgebung des Kühlschranks oder dem Sitzkomfort im Neuwagen befassen. Die Lösung? Signalisieren Sie Ihren potenziellen Kundinnen, dass sie in Ihnen eine gleichwertige Entscheidungsträgerin sehen. - Ein Girl`s Day reicht nicht.
Frauen sind nicht nur eine Käufergruppe. Wer in Zeiten des Fachkräftemangels einen Vorteil im Wettbewerb haben möchte, kann auf gut qualifizierte Frauen nicht verzichten. Es ist also kein Zufall, dass gerade die Bundeswehr und das Handwerk offensiv auf Frauen zugehen. Der Pool an männlichen Bewerbern ist hier einfach leergefischt. Sowohl das Verteidigungsministerium als auch die Handwerksverbände haben die fachliche Kompetenz und die Talente junger Frauen erkannt. Also setzen sie auf Kampagnen, die sich durch eine wertschätzende Ansprache wohltuend abheben.
Werden Sie Frauenversteher.
Sie kennen nun die Bedeutung weiblicher Zielgruppen und wissen, welche Fehler Ihr Unternehmen vermeiden sollte. Egal, ob Sie nur Ihren wirtschaftlichen Erfolg im Blick haben oder nicht möchten, dass Ihre Tochter irgendwann als halbnacktes Testimonial die Werbekampagne eines Elektronikfachhandels ziert. Nutzen Sie die Erkenntnisse aus diesem Beitrag, um die weiblichen 50 Prozent unserer Gesellschaft zu begeistern.