Sounddesign im Radio: Der Mensch hört nicht mit dem Ohr allein

Von Mathias Mersch, veröffentlicht am 15. Januar 2019

“Was redet der da?”, werden Sie sich fragen. “Diese Geräusche habe ich noch nie gehört.” Stimmt - außer im Film. Dort akzeptieren wir Sounds, die dramaturgisch sinn- und reizvoll sind aber in der Realität nicht oder zumindest nicht so existieren. Aber, blendet man das Bild aus, bricht die ganze Illusion in sich zusammen.

Das Geräusch im Film – eine eigene Welt

Was früher einmal Geräuschemacher waren, sind heute Sounddesigner. Ganze Geschwader der sogenannten Foley Artists sind für einen modernen Blockbuster am Werk. Dabei sind profane Geräusche, wie ein Türschlagen oder Schritte, nur ein Teil der Arbeit. Längst hat man auch die emotionale Wirkung von Geräuschen und Soundeffects (SFX) erkannt.
Und so sind auch nicht reale Klanggebilde zum festen Bestandteil der Filmdramaturgie geworden:
Im Kino geht die Sonne mit einem grummelnden Geräusch auf, klingt der Schritt eines T-Rex wie ein Erdbeben, und egal wie gut Sie Karate beherrschen: Den pfeifenden Luftzug, den der Arm bei den Schlägen von Jackie Chan macht, werden Sie vermutlich auch nicht hinbekommen.

Wie also schafft man ein Bild im Kopf ohne ein Bild vor Augen?


Auch ein Radiospot lebt von seiner Dramaturgie, für die nicht selten Geräusche eingesetzt werden. Und selbst erfahrene Audioproduzenten erleben immer wieder, dass Geräusche ohne das dazu gehörige Bild kaum bis gar nicht zu erkennen sind. So ist nicht selten ein tiefer Griff in die Trickkiste angesagt:

Wie man als Audioproducer den perfekten Elfmeter hinlegt

Das Antreten eines Fußballs ist schon wegen der Kürze des Geräuschs nur schwer zu erkennen. Und so mancher Bud Spencer-Fan würde den Sound durchaus als Faustschlag fehlinterpretieren. Also braucht der Klang ein Facelift, besser gesagt: ein Soundlift.
Im Film würde man den Anstoß vermutlich in Zeitlupe zeigen und den Tritt an den Ball mit einem tiefen Trommelschlag unterlegen. Dazu eine heroische Musik und voila: Gänsehaut - selbst beim Nicht-Fußballfan.

In einem Radiospot gehen wir da oft in die genau entgegengesetzte Richtung:
Das Geräusch soll ja für sich sprechen. Dafür muss es so authentisch wie möglich sein. So stellt sich immer erst die Frage: Was sind die besonderen Merkmale des Klangs?

Jedes Material – in diesem Fall straff gespanntes Leder - hat seinen eigenen Sound. Den gilt es mit allerlei technischen Finessen “heraus zu kitzeln”. So fällt bei genauem Hinhören etwas für diesen Sound sehr Spezifisches auf: Man kann einen Ton hören, den man vielleicht am ehesten mit dem Klang einer Glocke vergleichen kann. Diesen bearbeiten wir mit ein paar speziellen Geräten und PlugIns. So verstärken wir beispielsweise genau den Frequenzbereich, in dem sich dieser Ton sich befindet – ein Verfahren, das z.B. auch Kriminalisten einsetzen, um aus einer lauten Umgebung eine einzelne Stimme herauszufiltern.

Doch das allein reicht nicht. In diesem Fall, weil der Impuls einfach zu kurz ist. Daher ist es hilfreich eine kleine Dramaturgie um den Anstoß herumzubauen. Hierbei kommt es darauf an, dass sie vor und nach dem Geräusch stattfindet und so dem Hörer die Zeit gibt, die fehlenden Bilder im Kopf entstehen zu lassen: kurzer Anlauf, Publikum, Schiedsrichterpfeife. Die Lautstärke des Trittes wird angehoben. Und eventuell könnte man jetzt noch den oben beschriebenen Luftzug vor den Tritt bauen. Nach dem Motto: Was Jackie Chan kann, müsste Ronaldo doch auch hinbekommen.
Und höre da: Wir haben den perfekten Einstieg für einen Fußball-Trailer.

Der Mensch hört nicht mit dem Ohr allein


Das menschliche Gehör arbeitet vergleichsweise rudimentär. Wir sind vornehmlich visuell orientiert. Gleichwohl ist unser Gehirn im Stande aus kleinen Unterschieden im Gehörten sehr differenzierte Informationen herauszufiltern. Wir können beim gesprochenen Wort sehr genau “zwischen den Zeilen” hören – eine Tatsache die bei der Sprachaufnahme und -auswahl für einen Werbespot eine sehr große Rolle spielt. Oftmals ist nicht nur entscheidend was gesagt wird, sondern auch wie. Oder, um es mit dem Volksmund zu sagen: “Der Ton macht die Musik.”  Bei einem Geräusch verhält es sich ähnlich.

Der kleine Schritt vom Ok- zum Aha-Effekt


Wir hatten vor einigen Jahren eine Spotproduktion, in der eine Frühlingsatmosphäre geschaffen werden sollte. Nichts leichter als das. Dachte ich. Wir verfügen über einige exzellente Soundbibliotheken von der BBC oder LucasArts, die z.B. auch bei den Indiana Jones-Filmen zum Einsatz kamen. Also suchte ich eine wunderschöne Waldathmo mit Vogelgezwitscher aus unseren Breiten heraus. Fertig. Die Szene war klar und verständlich. Obwohl: Das richtige Frühlingsgefühl wollte sich nicht einstellen.

Der Grund dafür war recht einfach. Auch der Nicht-Ornithologe kennt die typischen Vogelstimmen, die wir jedes Frühjahr in Deutschland hören. Die vorliegenden Geräusche kamen aber großenteils aus den USA. Dort gibt es äußerlich eine ähnliche Natur wie bei uns, aber es sind andere Vögel. Oder zumindest tragen sie andere Songs vor.

Die richtige Wirkung stellte sich tatsächlich ein, als ich schließlich einheimische Vogelstimmen einsetzte – ein echter Aha-Effekt.

Ähnlich erleben wir es mit Stimmenwirrwarr, Gemurmel z.B. in einem Restaurant. Wir erkennen keine Stimme, verstehen kein Wort, und trotzdem nehmen wir wahr, ob auf Deutsch, Italienisch oder Englisch gemurmelt wird.

Ergo: Eine Situation verständlich zu machen, ist das Eine. Um sie allerdings emotional erlebbar zu machen, bedarf es besonderer Authentizität. Denn es geht um eine der wichtigsten Emotionen für erfolgreiche Werbung: Vertrautheit – die beste Basis für Vertrauen.

Hören und fühlen

Es kommt also nicht nur darauf an, dass das Geräusch verstanden wird. Oft soll es auch eine bestimmte emotionale Wirkung erzielen. Insbesondere in der Radiowerbung kann ein empathisches und professionell umgesetztes Sounddesign eine echte Wunderwaffe sein. Jeder weiß, wie ansteckend Lachen sein kann, welche Gefühle das Glucksen oder Lachen eines Babys auslöst, wie appetitanregend der Sound von Brutzeln in einer Pfanne sein kann. Wichtig ist hierbei, die eigentliche Essenz des Geräuschs zu erkennen und es richtig zu dosieren.

Fake Noise im Radio!


Werbung wäre keine Werbung, wenn sie nur die Realität widerspiegeln wollte. Natürlich setzen wir auch Geräusche, Sounds und Effekte ein, die mit der Realität wenig zu tun haben. Und da wären wir wieder bei unserem Fußballtrailer. Der Ball, der Jubel, die Pfeife sind nur ein Teil des Sounddesigns.

Häufig würzen wir alles noch mit diversen synthetischen Effekten - Soundeffekte, die gesprochene Passagen unterstreichen, Akzente setzen oder zu Akzenten hinleiten. So künstlich, wie sie entstehen z.B. im Synthesizer, so erfunden sind auch deren Namen: Wiper, Buzzer, Drones, Bumper oder Glitch-effects gehören, häufig als Ergänzung zur entsprechenden Musik, insbesondere bei der Produktion von Station-Promos zum festen Handwerkszeug.

Und sie dienen nur einem Zweck: für Action sorgen; denn Action bedeutet Aufmerksamkeit. Schließlich geht es am Ende immer darum, dass die Hörer auch wissen, welchen Sender sie hören, um welches Produkt, welche Leistung es geht oder welches Event demnächst angesagt ist. Dass diese Sounds manchmal auch ein bisschen nervig sind, ist durchaus beabsichtigt.
Schließlich gehört Klappern zum Handwerk.

Gerade in einem Medium wie dem Radio, das vorwiegend beiläufig gehört wird, bedarf es besonderer Empathie, Fantasie und mancher spezieller Tricks, um unüberhörbar zu sein.
Ob es um den Marktschreier-Effekt geht oder ob man Bilder hörbar machen will,
in den meisten Fällen geht an einem professionellen Sounddesign kein Weg vorbei.

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Mathias Mersch

ist Musiker, Texter und Audio-Producer. Er produziert in den ams Studios u.a. Spots, Werbejingles und Promos für die zugehörigen Radiosender.