Social Bots: Intelligentes Leben im Netz?

Von Hannah Schürkamp, veröffentlicht am 23. November 2021

Die Idee ist so simpel wie raffiniert: da Meinungen bekanntlich kompliziert einzukaufen sind, baut man sich doch einfach eine Maschine, die das Ganze übernimmt. Die heißt dann “@Tilda74781” oder “@MasterTaco4000” und tut den ganzen Tag nichts anderes, als die Timeline anderer User mit Meinungen, Marken und Hashtags zu fluten. Dabei setzt der Social Bot nicht nur eigene Tweets ab, sondern analysiert auch die Diskussionen echter User, um sich immer wieder mit Zwischenbemerkungen einzumischen. Und dann kann es schon einmal vorkommen, dass nichtsahnende User Stunden damit verbringen, sich mit einem Bot zu streiten, in der festen Überzeugung, dass ein Mensch am anderen Bildschirm sitzt.

Die Psychologie hinter der Strategie

Social Bots sind nur eines von vielen Phänomenen, die die Online Welt mit sich bringen. Doch trotz des simplen Konzepts steckt eine enorme Macht hinter den Fake-Usern. Robin Graber und Thomas Lindemann widmen sich diesen Effekten in einem Aufsatz. In “Neue Propaganda im Internet. Social Bots und das Prinzip sozialer Bewährtheit als Instrumente der Propaganda” besprechen sie sowohl die Gefahren, als auch die enorme Wirksamkeit der Bots. Denn kaum eine Beeinflussung sei so effektiv wie die durch andere Personen. Unterbewusst orientieren wir uns ständig an den Ansichten und Interessen unserer Mitmenschen. Wenn unsere Timeline also ständig mit denselben Meinungen gefüllt ist, oder ein Tweet entsprechend viele (Fake-)Likes vorweisen kann, ist es viel wahrscheinlicher, einer lang anhaltenden Beeinflussung zu unterstehen (vgl. Graber, Lindemann: 2018, 54 ff.).

Diese Technik eröffnet eine neue Welt der Marketing-Strategien. Um Stichworte und Inhalte langfristig miteinander zu verknüpfen und auch über den eigenen Kundenstamm hinaus neue Interessenten zu erschließen, eignet sich die Automatisierung von Werbepräsentation als kosten- und aufwandsparende Alternative. Auch ethisch gesehen kann die Problematik einfach umgangen werden, indem der Bot als solcher gekennzeichnet wird. Zudem sollte unbedingt darauf geachtet werden, dass der Algorithmus nicht als aufdringlich oder störend empfunden wird. Ansonsten kann die Strategie schnell nach hinten losgehen und einen gegenteiligen Effekt haben.

Werbe-Innovation oder Propaganda-Maschine?

Vielleicht gibt es aber auch eine weitere Erkenntnis, die aus dem wachsenden Einfluss von Social Bots hervorgeht. Denn die Fake-Profile tragen ihren schlechten Ruf nicht völlig ungerechtfertigt.

Leider werden die Bots vor allem für niedere Zwecke missbraucht. Dabei geht es nicht um seriöses Marketing, sondern um Profile, die Hass verbreiten, zwielichtige Links posten, oder politische Propaganda veröffentlichen. Dabei sind die Social Bots teilweise sehr schwer von echten Profilen zu unterscheiden und können dafür sorgen, dass Fake-News und politische Beeinflussung langfristigen Erfolg erzielen (vgl. Graber, Lindemann: 2018, 51 ff.). Rechtlich gesehen befinden sich die Social Bots in einer Grauzone - Konsequenzen hat die Meinungsmache kaum. Es sollte also Vorsicht bestehen, bevor die eigene Marke mit dem schlechten Image eines Social Bots verknüpft wird. Vielleicht gibt es einfachere und sogar effektivere Wege. Denn wer sich regelmäßig ins Netz begibt, der weiß vor allem eines: es ist unheimlich schwer, aus der Menge an Content und Meinungen herauszustechen. Mehrere Millionen Posts pro Sekunde, eine ganze Flut an Werbestrategien und unzählige Marken... Mittlerweile kommen wir beinahe täglich mit automatisierten Postings, Social Bots oder Chat Robotern in Kontakt. Die Frustrationsgrenze ist dementsprechend niedrig. Wie also hebt man sich mit seiner Marketingstrategie von dieser Masse ab?

Eine neue Werbe-Welt

Ein umfassendes Konzept für verschiedene Social Media Kanäle ist hier das A und O. Und dazu gehört auch ein Gespür für den Ton der jeweiligen Netzwerke: auf Twitter kann zum Beispiel ein humorvoller, gelöster Umgang mit der eigenen Marke dafür sorgen, aus den Profilen mit automatisiertem Standard-Content hervorzustechen. Denn zu effektivem Social Media Marketing gehört ein neuer Ansatz im Umgang mit den Kunden. Ein individuelles Profil kann dafür sorgen, dass sich viel mehr Menschen eingehend mit der Marke auseinandersetzen, als durch persönlichkeitslose Spam-Fluten. Wer ein erfolgreiches Beispiel dafür sucht, für den lohnt sich zum Beispiel ein Besuch auf dem Twitter Profil von “Deutsche Bahn Cargo”, oder auch auf der Bielefelder Tweet-Maschine “Dr. Oetker Pizza DE”. Denn hinter diesen Strategien sitzen anders als oft gescherzt keine Praktikanten, sondern echte Marketing-Experten. Und für dieses Know-How gibt es noch keine Social Bots.

Wir befinden uns in einem Umbruch der klassischen Marketing-Strategien. Der nächste Schritt wird sein, die Ideen von Social Media & Co. auf andere Medien zu übertragen. Diese Welt wird sich in den nächsten Jahren mehr und mehr erschließen und etablieren. Wer hier schnell mitdenkt und Sensibilität für den Puls der Zeit beweist, kann für sich und seine Marke einen klaren Vorteil erringen.


Literatur

Graber R., Lindemann T. (2018) Neue Propaganda im Internet. Social Bots und das Prinzip sozialer Bewährtheit als Instrumente der Propaganda. In: Sachs-Hombach K., Zywietz B. (eds) Fake News, Hashtags & Social Bots. Aktivismus- und Propagandaforschung. Springer VS, Wiesbaden. doi.org/10.1007/978-3-658-22118-8_3

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Hannah Schürkamp

studiert Geschichtswissenschaften und Anglistik und interessiert sich dabei vor allem für interdisziplinäre Medienwissenschaften. Bei ams ist sie in den Bereichen IT und Online unterwegs und beschäftigt sich am liebsten mit der Schnittmenge von Theorie und Praxis.