Shitstorm – großes Drama oder laues Lüftchen?

Durch die Veränderung des Internets vom reinen „Sendekanal“ hin zur Austauschplattform, dem Web 2.0, haben sich die Rollen verändert: Jeder kann Inhalte erstellen, zum Autor werden und Dinge veröffentlichen. Und vor Allem kann jeder seine Meinung auf unkomplizierte Art und Weise kundtun. Davon lebt das Web und so funktioniert es heute. An erster Stelle steht der Austausch – auch mit Unternehmen. Die Mitarbeiter der meisten Pressestellen oder Kommunikationsabteilungen haben die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen, als die ersten Facebook-Seiten für Marken oder Firmen erstellt wurden: Ab sofort war die Möglichkeit da, jeden Schritt des Unternehmens öffentlich zu kommentieren. Jegliche Form von Meinung landete von nun an in einem Kommentar – für alle anderen lesbar. Hatte sich vorher der unzufriedene Verbraucher in einer Mail oder früher noch in einem Brief an das Unternehmen gewandt und niemand hatte es mitbekommen, so wird jetzt der schnelle und öffentliche Weg über Facebook, Twitter und Co genutzt.
Diese Art des Ansprechens hat sich etabliert und ist nicht mehr wegzudenken. Wer heute noch versucht, Kritik zu verhindern, indem er Kommentare auf der eigenen Facebook-Seite verbietet, der – so muss man sagen – hat das Internet nicht verstanden. Und er löst damit nur noch mehr Unmut aus, der sich seinen Weg sucht. Im schlechtesten Fall mit Pauken und Trompeten.
Kundenkommunikation im Social Web
Es ist mittlerweile üblich, dass Rückfragen, Anmerkungen und Beschwerden über soziale Netzwerke an Unternehmen gerichtet werden. Die Kommunikationsabteilungen haben im Laufe der Zeit gelernt damit souverän umzugehen. Und in vielen Fällen kann man sich diese neue Form der Kommunikation für die eigenen Zwecke zu Nutze machen: Das schnelle Beantworten von Fragen, Ermitteln von Zusatzinformationen für den Einzelnen, Eingestehen von Fehlern oder Bedanken für Hinweise auf bisher unbemerkte Probleme werden von den Nutzern positiv bewertet und weitergesagt. Am Ende bedanken sich vorher verärgerte Kunden sogar über die schnelle Hilfe und den guten Service und empfehlen das Unternehmen weiter. Könnte es besser laufen?Nicht jede Kritik ist ein Shitstorm
Bei jedem kritischen Kommentar gleich von einem Shitstorm zu sprechen und einen Krisenstab einzuberufen, ist daher übertrieben. Prüfen Sie zunächst die Kritik intern und sammeln Sie Fakten zusammen, die Sie in einer Antwort präsentieren können. Wägen Sie ab, ob das Unternehmen möglicherweise einen Fehler eingestehen muss und wie dieser formuliert wird. Sollte der Kunde im Unrecht sein, dann teilen Sie ihm das in freundlichem Ton mit – Rechthaberei oder Arroganz braucht es hier nicht.Natürlich gibt es aber auch andere Fälle, die sich nicht so einfach abhandeln lassen. Ein Shitstorm entsteht immer dann, wenn Unternehmen Kritik oder einzelne User nicht ernst nehmen, nicht reagieren oder eigene Fehler vertuschen.
Das ging daneben…
Einer der bekanntesten Shitstorms war wohl der Fall KitKat im Jahr 2010. Greenpeace kritisierte damals die Verwendung von großen Mengen Palmöls zur Herstellung des KitKat-Riegels von Nestlé, für dessen Gewinnung der Lebensraum von Orang-Utans zerstört und die gesamte Tierart bedroht würde. Dazu gab es von Greenpeace eine Kampagne mit abschreckenden Videos, die schnell sehr bekannt wurden. Nestlé versuchte negative Kommentare zu verhindern und der Diskussion zu entgehen, schaltete Fanseiten bei Facebook ab und wollte das Video verbieten lassen. Dadurch schürte der Konzern weiteren Ärger, Kritik wurde noch lauter und der ganze Fall erlangte somit viel mehr Aufmerksamkeit.Auch im Jahr 2016 gibt es noch immer solche Fälle, in denen (Marketing)-Fehler nicht sofort eingeräumt, sondern fast schon heruntergespielt werden. So stehen z.B. Comedian Atze Schröder und die Firma Wiesenhof harsch in der Kritik. Ihnen wird von der Netzgemeinde vorgeworfen, in einem Werbespot für Bratwurst das Thema sexuelle Gewalt an Frauen zu bagatellisieren. Neben der Kritik an Inhalt, Machart und Veröffentlichungszeitpunkt des Videos, wird von Usern des Social Webs auch die Kommunikation bemängelt. So z.B. auf Twitter:
Doof nur, dass das Internet nichts vergisst. Aber das scheint man bei #Wiesenhof wohl nicht zu wissen....
— Jennifer D. (@JenJenVanilla07) 25. Juni 2016
Die Rollen der User
So wie es in den Sozialen Netzwerken im Allgemeinen verschiedene Typologien von Nutzern gibt, verhalten sich bei einem Shitstorm auch hier die User unterschiedlich.Dadurch entsteht eine Dynamik, die sich aus verschiedenen Aktionen der Nutzer zusammensetzt.
Zunächst gibt es den Initiator, der die Kritik postet. Seine Freunde im Social Web sehen sein Anliegen und kommentieren oder teilen dieses. Dadurch erlangt es Reichweite. Gleichzeitig entdecken andere User, die auf der Seite des angesprochenen Unternehmens sind, die Kritik und teilen sie möglicherweise auch. Handelt es sich beim Problem zudem noch um ein gesellschaftlich diskutiertes und moralisch besetztes Thema, dann vergrößert sich der Kreis der Angesprochenen sofort um ein Vielfaches.
So entsteht eine Bekanntheit, die von Betroffenen und Sympathisanten immer weiter vergrößert wird. Dem gegenüber stehen die Andersdenkenden bzw. die Befürworter des kritisierten Unternehmens. Sie halten dagegen. Entweder, weil die Beschwerden unbegründet oder überzogen sind oder aber weil das Unternehmen allgemein über eine hohe Kundenzufriedenheit und Kundenbindung verfügt.
In vielen Fällen, in denen unberechtigte Kritik geübt wurde, regulierte sich die Diskussion dadurch sogar ohne dass das betroffene Unternehmen selbst eingreifen musste. User bringen dann untereinander die richtigen Argumente auf, weisen auf Ungereimtheiten beim Beschwerdeführer hin oder stellen sich einfach auf die Seite des Kritisierten.
Was sollten Unternehmen tun?
Das wichtigste ist, das Social Web im Auge zu behalten. D.h. natürlich in erster Linie die eigenen Auftritte wie die Facebook-Seite des Unternehmens. Aber auch das, was woanders über die Marke oder das Produkt gesagt wird. So kann ein möglicher Shitstorm frühzeitig erkannt und Maßnahmen ergriffen werden. Und dann hat oberste Priorität, die Beschwerde ernst zu nehmen.
Machen Sie sich ein umfassendes Bild, bevor Sie reagieren:
- Wie groß ist die Reichweite?
- Auf welchen Kanälen ist das Problem thematisiert?
- Wie groß ist die Gruppe derer, die sich damit beschäftigen oder die es betrifft?
Im Falle von KitKat und Greenpeace sind das die Umwelt- und Tierschützer, aber auch die Schokoriegel-Esser, Familien, usw. Sammeln Sie alle Informationen zusammen und recherchieren Sie intern, an welcher Stelle es im Unternehmen möglicherweise gehakt hat. Besonders wichtig ist zudem, dass Sie sich absprechen, wer die Kommunikation nun führt. Nichts ist schlimmer, als dass sich verschiedene Abteilungen oder Mitarbeiter einmischen und keine klare Linie mehr erkennbar ist.
Im Social Web gilt zudem: Gelöscht wird nur im begründeten Fall! Sowohl eigene Posts als auch Kommentare anderer sollten auf keinen Fall von den Seiten entfernt werden, wenn es keinen guten Grund dafür gibt. Kritik muss man aushalten, solange sie keine Grenze überschreitet. Wer andere Nutzer belästigt oder beleidigt oder rechtlich bedenkliche Inhalte veröffentlicht, der sollte allerdings aus der Diskussion ausgeschlossen oder sogar gesperrt werden. Thematisieren Sie aber auch diesen Schritt. Transparenz und Ehrlichkeit sorgen dafür, dass auch verärgerte Kunden zurückgewonnen werden können.
