LSBTIQ* im Marketing: Profit-Gier oder Inklusions-Vorreiter?

Von Katharina Schohl, veröffentlicht am 23. August 2022

Erinnern Sie sich noch? Sie schlugen morgens die Zeitung auf, haben einen Blick in die Jobanzeigen geworfen und dort das obligatorische „m/w“ gelesen. Heute ist an ihre Seite ein „d“ für divers gerückt. Aus gutem Grund: Jeder Mensch, gleich welche Vorlieben, Neigungen oder Identität er hat, soll dieselben Chancen bekommen und mit all seinen Eigenschaften anerkannt und gewürdigt werden. Dieses kleine, unscheinbare „d“ drückt aus: Wir sind offen für Menschen, die vermeintlich „anders“ sind und es lehrt uns, dass die Schablone, die wir jahrhundertelang angewendet haben, neu zugeschnitten werden muss.

Viele Unternehmen haben dieses neue Denken bereits verinnerlicht, unter anderem in ihren Werbe-Kampagnen. Hier ist das Thema Diversity präsenter denn je. Wo früher noch das eingestaubte Mutter-Vater-Kind-Konzept vorgeherrscht hat, sehen wir in TV-Spots gleichgeschlechtliche Paare, die ihren Nachwuchs umsorgen. Statt einer Gruppe junger Frauen, die einen Shoppingtrip unternehmen, sehen wir einen Mann, der sich selbstbewusst in der Damenbekleidungs-Abteilung eines Modehauses ausstattet. Und selbst in der vermeintlich sonst so oberflächlichen Modelwelt müssen die Akteure längst nicht mehr dem klassischen Mann-Frau-Schema entsprechen. Es gibt keine Grenzen oder Tabus mehr und das ist auch gut so!

[…] Diversity umfasst […] viel mehr als LSBTIQ* […]. Alle können nebeneinander leben, alle haben die gleichen Rechte und sind ein wertvoller Teil der Gesellschaft. Warum sollte Werbung also nur für einen Teil der Gesellschaft sein?

Der Online-Versandhändler Zalando zum Beispiel ist bereits früh auf diesen Diversity-Zug aufgesprungen und hat im vergangenen Jahr vor allem mit der Marketing-Kampagne „Here to Stay“ gepunktet. Aber auch andere Unternehmen ziehen nach. So etwa das Schuhgeschäft Tamaris, das seine Damen-Produkte neuerdings mithilfe eines Mannes vermarktet. Hinzu kommen Unternehmen wie Pantene, Diesel, Penny, OTTO oder H&M, die gleichgeschlechtliche Liebe und Transgeschlechtlichkeit ganz selbstverständlich in ihre Clips integrieren (Vgl. www.sisi-agentur.de; s.u.). Die Liste ist lang. 

Das Geschäft mit der LSBTIQ*-Bewegung

Aber warum machen Unternehmen das? Weil es ihnen ein Anliegen ist, für mehr Akzeptanz für LSBTIQ*-Personen zu sorgen oder, weil sie daraus Profit ziehen möchten? Die Antwort lautet: Wohl beides. Wer heutzutage keine Meinung zu öffentlich diskutierten Themen hat und sich dazu nicht klar positioniert, droht in der Bedeutungslosigkeit zu versinken und damit unattraktiver auf Käufer zu wirken. Pride-Werbung hebt sich von der Masse ab und kann sich – vor allem in der jüngeren Generation – positiv auf die Kaufentscheidung auswirken.

[…] Insbesondere schwule Männer haben häufiger eine feste Anstellung als der Durchschnitt, sie können mehr Geld ausgeben und sind also eine „attraktive Geldquelle".

Friederike Vogt, Koordinatorin für Gleichstellung von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Trans*, Inter* und Queeren Menschen (LSBTIQ*) bei der Stadt Bielefeld

Hinzu kommt aber auch, dass, je häufiger diese Themen in der öffentlichen Wahrnehmung auftauchen und in TV-Spots oder Marketing-Kampagnen integriert werden, die Toleranz ihnen gegenüber steigt. Ein wichtiger, wenn auch nicht immer priorisierter Nebeneffekt.

[…] LSBTIQ* Menschen werden häufig als Beispiel für Toleranz und Weltoffenheit gesehen. Diese Werte werden auch als attraktiver Wirtschaftsstandort wahrgenommen, z.B. können hierdurch Fachkräfte angeworben werden.

Friederike Vogt, Koordinatorin für Gleichstellung von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Trans*, Inter* und Queeren Menschen (LSBTIQ*) bei der Stadt Bielefeld

Mitläufer oder Überzeugungstäter?

Bei all dem Nutzen, den Unternehmen aus der LSBTQI*-Bewegung ziehen können, sollten sie eines jedoch nicht vergessen: Es geht um Menschen und damit eben auch um den nötigen Respekt ihnen gegenüber. Diversity sollte keine Modeerscheinung sein, die für kommerzielle Zwecke ausgenutzt wird. Wer nicht dahintersteht und die Bewegung zur reinen Aufpolierung seines Images verwendet, sollte schon allein aus ethischen Gründen die Finger davon lassen.

Das sogenannte „pinkwashing“ wird auch oft kritisiert - Unternehmen, die sich aus Marketinggründen mit der LSBTIQ*-Bewegung solidarisieren und oberflächliche Werbekampagnen durchführen. […] Zu einer wirklichen Unterstützung gehört mehr dazu als Lippenbekenntnisse […].

 

Friederike Vogt, Koordinatorin für Gleichstellung von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Trans*, Inter* und Queeren Menschen (LSBTIQ*) bei der Stadt Bielefeld

Das berühmte Fingerspitzengefühl ist hier das A und O. Andernfalls kann die Marketing-Kampagne einen gegenteiligen Effekt haben und das Unternehmen in Misskredit ziehen.


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Katharina Schohl

hat viele Jahre bei Radio Herford gearbeitet und ist ausgebildete Redakteurin. Seit Mai 2021 ist sie bei ams - Radio und MediaSolutions als Online-Redakteurin tätig und betreut das Projekt „Marketing in Westfalen“. Sie beschäftigt sich mit vielen Themen im und rund ums Web.