Kundenbeziehungen in der digitalen Welt: Edgar K. Geffroy im Interview

Sie haben Clienting entwickelt, ein Konzept zur Kundenorientierung im Marketing. Worum geht es dabei? Was sind die für Sie wesentlichen Bestandteile?
Geffroy: Es ist schon eine radikale Veränderung, weil das Thema Clienting den Menschen in den Mittelpunkt stellt und zwar, noch genauer: den individuellen Kunden. Ich habe Clienting zwar schon vor 20 Jahren entwickelt, aber es bestätigt sich jetzt – der Kunde will einfach individuell behandelt werden, er will nichts mehr von der Stange haben und er möchte, dass man auf ihn eingeht.
Das Geben-Prinzip - erst geben, dann nehmen!
Geffroy: Eines der ganz wesentlichen Elemente, das zweite Element ist: Wir müssen eine Beziehung, eine glaubwürdig gelebte, dauerhafte Beziehung zu Kunden aufbauen, die sogar unabhängig ist von einem sofortigen Geschäftssinn. Das sind dann sogenannte Erfolge jenseits des Egoismus. Wir müssen erstmal bereit sein zu investieren. Also erst geben im Klartext, um dann eines Tages mit einer hohen Wahrscheinlichkeit die Chance zu haben, dass auch etwas zurückkommt. Das ist nicht nur Theorie, dass zeigt mir die Erfahrung der letzten 20 Jahre. Ich nenne es inzwischen das Geben-Prinzip – und es funktioniert!
Das ganze Thema „Geben“ sowie die glaubwürdige, dauerhaft gelebte Beziehung zum Kunden und auch der Titel Ihres Vortrages vor den Mitgliedern des BVMW „Herzenssache Kunde“ – das klingt alles sehr emotional. Sie haben auch in ihrem gleichnamigen Buch geschrieben, dass es einen Trend zur Emotionalisierung gibt…
Geffroy: Eindeutig.
...dann gibt es da noch die digitale Welt, die eher kalt und rational funktioniert. Wie passt das zusammen? Laufen Emotionalität und Digitalisierung parallel ab?
Geffroy: Nein, das ist keine Parallelität. Vielmehr werden sich daraus Synergien ergeben. Zum Beispiel haben wir bei all unseren Projekten auch immer ein Video – und das ist ein hoch emotionales Video. Das heißt wir bringen eigentlich die Emotionalität in Form eines Videos in diese digitale Welt bzw. auf die Seite des Kunden. Das ist ein ganz wichtiges Thema. Dadurch kriegen die Kunden, wenn sie zum ersten Mal auf die Seite gehen, einen ganz anderen Eindruck.
Emotionen einbeziehen
Geffroy: Wir legen ganz großen Wert darauf, dass wir die Gefühle miteinbeziehen. Angst ist zum Beispiel ein ganz wichtiger Verkaufsverstärker oder auch -verhinderer. Damit kann man arbeiten.
Man kann also sehr viel Emotionalität und Intuition auch in Form einer Seite darstellen. Oft denkt man, das Internet sei nur eine Maschine und würde entweder nach Schema 1 oder 2 funktionieren. Das ist aber falsch: Je emotionaler eine Seite ist, umso interessanter ist sie letzten Endes.
Sie erwähnten in Ihrem Vortrag, dass Sie ein Freund von pragmatischem Denken sind. Wenn wir jetzt mal ganz nüchtern an die Sache herangehen: Ich bin ein Verkäufer und ich höre von dieser ganz neuen Denkart des Clienting im digitalen Zeitalter, die den Kunden in den Mittelpunkt stellt und die digitalen Kanäle zum Dreh- und Angelpunkt jeglicher Kommunikation macht. Da könnte ich mich doch als Vertriebler fragen, welche Rolle spiele ich? Was muss ich tun, um in dieser emotional-digitalen Welt meine Kunden zu packen?
Geffroy: Der Verkäufer hat eine ganz zentrale Rolle: Sein Job ist der eines Beziehungsmanagers. Auch wenn Beziehungen heute teilweise im Internet stattfinden – die zentrale Bindung ist immer noch die zwischen den Menschen. Das wird sich auch nicht ändern. Das heißt also: Verlagert er sich darauf, zu sagen, ich bin ein Beziehungsmanager, der die Beziehung zu meinen Kunden glaubwürdig lebt und ausbaut, dann hat er erst Recht einen Existenzberechtigung, weil das automatisierte Prozesse im Internet so nicht hinkriegen werden.
Welche Medien bzw. welches Medium hat denn aus Ihrer Sicht überhaupt das größte Potenzial, den Kunden in der digitalen Welt anzusprechen und dann auch zu involvieren? Immerhin haben Sie in Ihrem ersten Buch den klassischen Marketing-Medien wie Flyern, Prospekten, etc. ihre Leistungsfähigkeit abgesprochen, weil sie nicht interaktiv bzw. digital sind.
Geffroy: Keines oder alle, wäre meine salomonische Antwort. Das heißt, ich glaube heute nicht mehr, dass es den einen, einzig wahren Weg gibt. Vielmehr müssen heute alle Kanäle bespielt werden: Eine Zeitung, die ohne Online arbeitet, wird eine immer schwierigere Rolle haben.
Ich würde alle Möglichkeiten kombinieren – von Text und Bild über Audio bis hin zu Video – und diese zu einer neuen Einheit formieren. Und das Ganze dann noch interaktiv mit Kunden aufbauen. Ich weiß gar nicht, ob es so ein Geschäftsmodell bereits gibt, aber so würde ich es aufbauen.
Wenn ich mir anschaue, was auf dem Markt so passiert, dann stelle ich immer wieder fest: Die sind mir alle zu einseitig!
Ich gehe da lieber ganzheitlich ran und stelle mir vor, ich bin jetzt einfach der User oder der Kunde – was würde mich interessieren?
Manchmal würde ich gerne etwas lesen, manchmal hätte ich gerne Erfahrungen von anderen, also diese Community-Geschichte, manchmal hätte ich gerne ein Video, woraus ich lernen kann. Manchmal hätte ich gerne unterwegs einen Podcast.
Das heißt die Kombination von all dem könnte ein neues Media-Thema sein. Viele ticken nur in ihren eigenen Welten – jedenfalls im Moment noch.
Und wenn man sich nun auf meine Clienting-These einlässt, bekommt man einen ganz anderen Blickwinkel. Denn der wichtigste Punkt ist ja: Unser Geschäft ist zu helfen, damit unsere Kunden selbst besser leben können. Und wenn man nun das Thema „Helfen“ auf das Medien-Thema überträgt und sich fragt: Wie können wir helfen, was können wir tun?
Dann kommt man zu anderen Lösungen. Das ist das Ziel.
Foto: Karti Fotografie | Katharina Busse | www.karti-fotografie.de
