Film, Recruiting, Social Media und die Sache mit der Authentizität

Authentizität ist eine Zuschreibung, sie entsteht beim Rezipienten. Wenn dieser etwas als nicht stimmig empfindet, entsteht das Gefühl einer Täuschung. Dabei ist es egal, ob das Erlebte gespielt oder dokumentarisch eingefangen wurde.
„Authentizität bezeichnet eine kritische Qualität von Wahrnehmungsinhalten (Gegenständen oder Menschen, Ereignissen oder menschlichem Handeln), die den Gegensatz von Schein und Sein als Möglichkeit zu Täuschung und Fälschung voraussetzt. Als authentisch gilt ein solcher Inhalt, wenn beide Aspekte der Wahrnehmung, unmittelbarer Schein und eigentliches Sein, in Übereinstimmung befunden werden.“[1]
Viele private Social-Media-Videos leben von Authentizität in der einfachen Form, wenn die spürbare Unbeholfenheit dafür sorgt, dass das Geschehen ‚echt‘ rüberkommt. Aber auch fiktionale Spots können „authentisch“ sein, wenn Schauspieler ihre Rollen so empathisch spielen, dass Zuschauer den ‚schönen Schein‘ als realen Phantasieausflug genießen können. Ein anderer Begriff dafür ist Diegese – es ist die hohe Kunst des Erzählens. [2]
Das Gegenteil von „authentisch“ ist …
Viele Content Creator in Unternehmen träumen von dieser großartig erzählten, in sich stimmigen Erzählwelt und würden gerne eine Geschichte erzählen, die authentisch / diegetisch wirkt. Aber mangels Budgets setzen sie diese selten in die Tat um; denn sie kennen das Risiko. Wenn ein schnell gemachter Spot nicht funktioniert, entsteht Realsatire. Die bringt Klickzahlen und Aufmerksamkeit, ist aber nicht gerade imagefördernd.
Ein schönes Beispiel ist der berühmt gewordene Recruitingfilm „Sparda Movie Stars:“[3] Echte Azubis rappen hier über das „Bankenwunderland“. Ein Film zum Fremdschämen, der im landläufigen Sinne „authentisch“ ist: Was die Azubis machen, können sie nicht – und das merkt man von der Idee über die Performance bis zur Postproduktion. Und er zeigt das Problem werbetreibender Unternehmen mit dieser Form der Social-Media-Kommunikation. Während bewusst amateurhafte Promiparodien und Jackass-Videos das Rückgrat der privaten Social-Media-Welt sind, bleibt Unternehmen wie der Sparda-Bank ungewollte Realsatire verwehrt. Entsprechend gerieten die „Movie Stars“ zum PR-Desaster.
Dabei ist die Sparda-Bank kein Einzelfall. Ähnlich erging es BMW bei der Praktikantensuche via Social Media mit einem weiteren Musikvideo der ungewollt witzigen Sorte.[4] Und auch die Auszubildenden eines fränkischen EDEKA-Händlers feierten damals einen zweifelhaften Erfolg.[5]
Da bewies die EDEKA-Zentrale mit einem weiteren Recruitingspot mehr Raffinesse: Das fiktive Making-of-Feature über ein HipHop-Musikvideo, welches ein verrückter Filmemacher der EDEKA verkaufen wollte, ist ein wirklich schön gemachter Film im Film!
Und man merkt, – spätestens, wenn der eigene Missgriff aus Franken zitiert wird – dass die EDEKA verstanden hat, was Marken in Social Media dürfen … und was nicht! Oder wie sagt der missbrauchte Musiker so schön am Schluss: „Bitte hört auf mit diesen peinlichen Rap-Werbespots!“
Erkenntnis: Bei Unternehmensfilmen ist das Gegenteil von „authentisch“ nicht „inszeniert“ sondern „laienhaft.“
Die Wirkung muss stimmen.
Filme müssen nicht „authentisch“ sein, um authentisch zu wirken. Das zeigt auch der millionenfach angeklickte Spot „Supergeil“ (zudem ein Musterbeispiel dafür, wie eine Überinszenierung in Social Media Erfolg bringt, wenn die Selbstironie glaubhaft ist(!). Der EDEKA-Spot ist als Musikvideo jenen der Sparda-Bank und BMW ganz ähnlich, aber er ist zu 100% als Inszenierung erkennbar und dabei gut gemacht – stimmig halt! Auch der Recruitingfilm für das Nationalpark-Zentrum Königsstuhl auf Rügen ist – bis auf die meist als Outtakes geschnittenen Mitarbeiter-O-Töne – nicht wirklich authentisch. Aber er macht Spaß und ‚überzeugt‘ mit seinem witzigen, nur scheinbar unprofessionellen Storytelling.
Der entscheidende Punkt: Weil die Bewertung im Auge des Betrachters liegt, geht es eher um die Idee und die überzeugende Umsetzung als um „Authentizität“ an sich.
Also nur noch Inszenierung, oder was?
„Recruitingfilme müssen also immer eine verrückte Story erzählen?“ – „Nein!“: Sofern sie keine virale Funktion haben, müssen sie das ganz sicher nicht! Denn meist im Marketingmix dienen sie als audiovisueller Content, der Zuschauern – sei es daheim am PC oder unterwegs auf dem Smartphone – einen ersten Einblick in die Welt dieses Unternehmens vermittelt. Vor allem wenn Recruitingfilme bei Stepstone & Co. direkt an eine digitale Stellenanzeige angebunden sind, kann die Konzeption noch spitzer ausfallen; dann geht es tatsächlich um genau diese Arbeitsumgebung in diesem Team.[6] Dabei gilt, dass sich auch im Krieg um die besten Köpfe Mitarbeiter nie ‚zum Affen machen‘ sollten, nur weil sich das Unternehmen um potenzielle Kollegen bemüht.
Authentizität ist ‚harte Arbeit‘.
In der Machart sind viele gute Recruitingfilme eigentlich Reportagen. Sie präsentieren Bewerbern eine Realität, in der sie sich im besten Falle später selbst wiederfinden werden. Und damit sich ‚richtig‘ anfühlt, was die Zuschauer sehen und hören, ist immer Professionalität gefragt (Ja, manchmal kann auch der Neffe des Inhabers, der sich eine gute Kamera gekauft hat, sowas hinkriegen … meist aber nicht)! Denn es bleibt bei der Grundeinsicht: Das wichtigste Kriterium für die Wirkung ist die authentische Gestaltung aus Sicht des Betrachters.
Inhaltlich überzeugende Statements entstehen nur dann, wenn geschulte Journalisten mit Mitarbeitern ins lockere Gespräch gehen. Dann vergisst man als Testimonial schnell die Kamera neben dem Interviewer und quatscht einfach drauf los, wie einem der Schnabel gewachsen ist. Beispiel gefällig? Mein eigenes Mitarbeitervideo!
Als Laie vor der Kamera muss es sich gut anfühlen, geradeheraus zu antworten; denn andernfalls kämen Werbesätze heraus. Und die sind spürbar nicht spontan, d.h. authentisch. Die Herausforderung in der Filmproduktion ist, dass diese Authentizität nicht von selbst da ist. Sie wird im professionellen journalistischen Gespräch ‚geschaffen‘ – wenn man so will ‚in harter Arbeit‘!
Visuell gilt das auch für die bewegenden Impressionen der Arbeitswelt. Ziel ist ja, dem Zuschauer bereits im Internet das Gefühl zu geben, hinter die Kulissen zu schauen. Aber dieses Gefühl (!) von Nähe entsteht erst, wenn die Menschen vor der Kamera ihre Hemmungen verloren haben und sich ungezwungen bewegen. Dafür braucht es Einfühlungsvermögen in der Regie und das Gespür für das hautnahe und zugleich diskrete Kamerabild.
Darum genügt es meines Erachtens auch nicht, wenn Unternehmen auf Karriereseiten gefilmte Interviews fast ungeschnitten ins Netz stellen. Wo ist der emotionale Mehrwert gegenüber einem abgedruckten Interview?
„Authentisch“ bedeutet eigentlich: „Gut gemacht!“
Die Konsequenz aus all diesen Ausführungen? Gut gemachte Filme sind immer „authentisch,“ wenn sie Zuschauern eine stimmige Welt aus Bildern, Worten und Stimmungen präsentieren, in die diese ‚eintauchen‘ können. Da ist es unerheblich, ob es sich um eine fiktive Story oder eine scheinbar dokumentarische Reportage handelt. Entscheidend ist die emotionale Dichte und damit die Wirkung des Films. Und die kommen nicht von Ungefähr – sie kosten Filmemacher viel Schweiß und Arbeit.
[1] Wikipedia „Authentizität“: https://de.wikipedia.org/wiki/Authentizit%C3%A4t (aufgerufen – wie alle anderen Links in diesem Beitrag – Ende Oktober 2022)
[2] Diegese bedeutet, dass in einer Fiktion eine in sich abgeschlossene „erzählte Welt“ entsteht (https://filmlexikon.uni-kiel.de/doku.php/d:diegese-122), und hängt stark mit Authentizität zusammen. Für Anne Souriau, die den Begriff maßgeblich geprägt hat, beinhaltet Diegese „alles, was sich laut der (…) präsentierten Fiktion ereignet und was sie impliziert, wenn man sie als wahr ansähe.“ (https://de.wikipedia.org/wiki/Diegese).
[3] Der Spot wurde 2012 aus gutem Grund von den Kanälen der Sparda-Bank gelöscht. Aber das Internet vergisst bekanntermaßen nie: www.youtube.com/watch
[4] Der Spot zählt seit 2011 ziemlich viele Aufrufe – wohl eher als Schadenfreude: www.youtube.com/watch
[5] „Dieses Video ist ein Kreativprojekt der Azubis bei EDEKA Kaufmann Schuler in der Nähe von Fürth,“ schreibt „SchulerGourmet“ auf seiner Youtube-Seite. Dort findet sich das Video von 2012 immer noch. Ein echter Hit (allerdings nur was die 885.000 Aufrufe angeht): www.youtube.com/watch
[6] Ein gutes Beispiel ist der Verler Möbelhersteller nobilia: Hier ist an die Stepstone-Stellenanzeige für IT-Administratoren der passende Recruitingfilm „Ausgezeichnete IT-Perspektiven“ (https://www.youtube.com/watch?v=BzieUs_lV0U) verlinkt. Siehe: www.stepstone.de/stellenangebote--IT-Systemadministrator-m-w-d-Windows-Server-Verl-nobilia-Werke-J-Stickling-GmbH-Co-KG--8740120-inline.html