Digitale Zusammenarbeit: Mehr als das Reden über Projekte

Zu den Vorteilen von digitalen Formaten zählt sicherlich, dass eben das Digitale häufig die einzige Möglichkeit war und ist, Kontakte aufrecht zu erhalten – ob zu Kunden, Freunden oder Familie – und so große Distanzen mit einem Klick pandemiekonform überbrücken zu können. Aufgrund des Formats laufen Besprechungen nicht selten „zielstrebiger“ ab und zielführende Ergebnisse werden manchmal erstaunlich schnell erzielt.
Genau darin liegt allerdings auch zugleich der erste Nachteil, denn Raum für die so wichtige zwischenmenschliche Plauderei und somit eine Stärkung der sozialen Bindung ist – zumindest im beruflichen Kontext - eher selten. Zu den Nachteilen zählt weiterhin, dass Videokonferenzen unsere Aufmerksamkeit anders beanspruchen und für viele schneller ermüdend sind als analoge Besprechungen. Zurückhaltenden Charakteren fällt es online manchmal noch schwerer, sich einzubringen und das Wort zu ergreifen
Und natürlich sind Reaktionen schwieriger einzuschätzen als wenn wir physisch in einem Raum zusammenkommen. Die unbewußte Wahrnehmung fällt schwerer.
Die - zumeist sympathischen - Faux pas kennen wir mittlerweile alle, vom hereinplatzenden Kleinkind in digitalen CNN-Schaltungen zu Experten über Katzen auf der Tastatur bis hin zur fehlenden Hose, wenn doch ein Aufstehen einmal unumgänglich ist. Mittlerweile taugen diese Anekdoten nicht einmal mehr als unterhaltsame Kalauer und eine gewisse Müdigkeit macht sich bei vielen breit, so meine persönliche Beobachtung.
Der Mensch als soziales Wesen in der digitalen Umgebung
Passiert das, was uns als soziale Wesen ausmacht und als soziale Gesellschaft zusammenhält, in analogen Begegnungen ungeplant und wie rein zufällig nebenbei (ein kleiner Plausch in der Pause, am Buffet, an der Anmeldung, am Kaffeeautomaten, auf der Toilette), so muss es in digitalen Formaten eingeplant werden. Denn die „Tagesordnung“ sieht meist vor, das rein Themenbezogene zu besprechen, nicht mehr und nicht weniger.
Eine punktuelle Zusammenarbeit für ein paar Minuten oder Stunden und dann trennen sich die Wege wieder, erfordert vielleicht nicht soviel „menschlichen Kitt“ wie eine dauerhafte, längere Zusammenarbeit. Meine eigene Erfahrung zeigt, ein bereits bestehendes Team oder eine bereits bestehende Kooperation rein digital aufrecht zu erhalten, funktioniert deutlich besser und einfacher als Menschen rein digital neu kennenzulernen. Das gelingt auch, es braucht aber häufig länger, ein Gefühl füreinander aufzubauen, einen Eindruck zu gewinnen, Vertrauen zu fassen, zu einem Team zu werden. Dinge, die analog zumeist unbewußt und in kürzester Zeit ablaufen. Häufig haben wir diese Eindrücke und Bindungen zu neuen Menschen bereits dann aufgebaut, bevor ein Meeting überhaupt beginnt – durch das, was wir mit unseren Sinnen wahrnehmen und in Sekundenschnelle verarbeiten. Körpersprache, Stimmlage, Geruch – all das kann unser Gehirn einfacher verarbeiten, wenn diese Eindrücke rein physikalisch direkt erfolgen und uns der andere Mensch direkt gegenübersteht.
Das „Drumherum“ nicht unterschätzen
Da Menschen gern und viel besser mit anderen Menschen als mit Maschinen zusammenarbeiten, so halte ich es - gerade aufgrund der Tatsache, dass digitale Formate nötig und sinnvoll und insgesamt unsere Begleiter bleiben werden - für wichtig, auch im Digitalen Raum für ein wenig Menschlichkeit zu geben. Seien es „extra Formate“ wie eigene Teamevents, online durchgeführt, in denen es mal nicht um die alltäglichen Aufgaben des Jobs geht, virtuelle Kaffeepausen oder auch die Verabredung auf ein Gläschen am Abend mit Kolleginnen und Kollegen.
Wichtig erscheint mir allerdings auch Raum für ein nettes Wort in den Besprechungen und Formaten, in denen wir uns eigentlich themenbezogen treffen. Das, was bei analogen Begegnungen „drumherum“ passiert, ist häufig soviel wichtiger als das, was wir eigentlich miteinander besprechen. Neue Kontakte entstehen, bestehende Kontakte vertiefen sich durch ein gemeinsames Mittagessen und ja, wir erfahren auch Informelles und „Flurfunk“.
Gerade in dieser Zeit, in der wir manchmal die Leichtigkeit des Alltags vermissen, einfach mal in der Mittagspause ins Café, die Kollegin zum Geburtstag zu umarmen oder auch einen spontanen Städtetrip am Wochenende, der wieder neue Energie spendet, tut es gut, sich auszutauschen und zu vergewissern, dass es auch anderen so geht. Das bedeutet nicht, gemeinsam zu jammern, sondern zu spüren, nicht allein zu sein. Und der Austausch kann durchaus konstruktiv sein: Sich zu erzählen, was auch aktuell Kraft spendet und Mut gibt. Probieren Sie es einmal aus, auch der kurze spontane informelle Austausch mit Fremden kann in digitalen Formaten durchaus guttun und ein wenig Verbindung schaffen.
Ein paar praktische Anregungen…
Wie können wir das rein praktisch umsetzen? Wenn Sie ein digitales Meeting planen, gehen Sie ein paar Minuten vorher hinein und stoßen eine kleine Plauderei an. Beispielsweise berichten Sie, vielleicht sogar ein bißchen amüsant, von einer Situation, die Sie gerade erlebt haben und fragen in die Runde, wie es den anderen damit geht. Probieren Sie vielleicht einmal soziale digitale Räume wie wonder.me oder Spatial aus. Lassen Sie Meetings am Ende offen für diejenigen, die noch etwas zusammenbleiben möchten und schließen Sie sie nicht direkt. Kommunizieren Sie offen und ehrlich, wieso Sie das tun. Es hilft allen Beteiligten, wenn Sie die guten Gewissens entlassen, die jetzt einen Anschlusstermin oder wenig Zeit haben, den anderen aber eröffnen, noch zu bleiben. Einfach so, wie wir auch einen Meetingraum im Analogen häufig nicht sofort verlassen, sondern noch einen Moment zusammenbleiben. Die Möglichkeit, noch einen Augenblick zu plaudern, wird auch online erstaunlich gut und gerne angenommen. In längeren Konferenzen können Sie mit diesen Momenten digital auch vor einer Pause spielen. Testen Sie es einfach mal aus.
Sagen Sie offen „Und jetzt habe ich noch etwas zeitlichen Puffer eingeplant für unsere persönlichen Erfahrungen“ oder „…für ein informelles Kennenlernen“ oder „dafür, dass wir mal wieder persönlich miteinander ins Gespräch kommen, einfach, weil mir das aus xy Gründen wichtig ist.“
Meist braucht es – wie im analogen Leben – keine Spielchen, keine Methoden, sondern am besten funktioniert ein aufrichtiges Interesse am Anderen und eine offene Einordnung, wieso das für Sie als Anstoßenden wichtig ist. Für alle diese Situationen gilt: Wenn jemand (Sie?) als Eisbrecher „vorlegt“ und ein bißchen von sich erzählt, verbunden mit dem ernsthaften Interesse an den Anderen, folgen diese meist gern und beginnen zu erzählen. Ein Austausch, der Verbindung schafft, der mehr Menschlichkeit auch ins Digitale holt, der auch die Zusammenarbeit angenehmer macht.
Und hier kommt mein Eisbrecher für heute: „Meine jüngsten fünf LinkedIn-Kontakte habe ich alle in digitalen Formaten neu kennengelernt und freue mich, jetzt mit diesen spannenden Leuten in Verbindung zu bleiben, die ich analog vielleicht nie kennengelernt hätte – wie ist das bei Ihnen…?“