Die Kopfstreichlerin im Radio: Sinah Donhauser

Sinah, du bist in der Kategorie „Beste Moderation“ ausgezeichnet worden. Als während der Preisverleihung dein Name genannt wurde, sah es aus, als trautest du deinen Ohren nicht. Hast du dich denn mittlerweile daran gewöhnt, Deutschlands beste Radiomoderatorin zu sein?
Es war auf jeden Fall so, dass ich meinen Ohren nicht trauen konnte! Während der Laudatio – der ich gar nicht so richtig zuhören konnte (lacht) – habe ich mich darauf vorbereitet, dass gleich der Name „Anne Raddatz“ fällt. Das ist die Moderatorin von N-Joy, die ich auf der Bühne gesehen habe. Ich habe ihre Sendung gehört und dachte „Wow, das wird gewinnen!“.
Es gibt so viele tolle Radiomoderatoren da draußen. Ich hab einfach diesen einen Tag gehabt, den ich auch für mich als besonders empfunden habe, den ich für den Radiopreis eingereicht habe. Für mich war dieser Tag der, wo ich sage, das kommt meiner Vorstellung von einer guten Radiomoderation oder einer guten Radiosendung am nächsten. Diese Interaktion zu haben, wirklich das Vertrauen der Hörer zu haben, dass sie anrufen können und mit mir sprechen können, das war ja auch für mich was Besonderes.
Ich bin stolz drauf, das auf die Kette gekriegt zu haben. Ich glaube, große Sender haben das sicherlich einfacher, weil dort mehr Leute während der Sendung abseits vom Mikro etwas koordinieren können. Das alles mehr oder weniger allein zu stemmen, ist sicherlich eine Herausforderung.
In der Begründung der Jury heißt es u.a. „Mit dieser Moderatorin steht man gerne auf. Nicht nur weil sie Lust auf den Tag macht, sondern weil sie hörbar ihre Hörer*innen mag und ernst nimmt.“ Sind die Hörer*innen in Westfalen eigentlich besonders und anders als anderswo?
Das ist eine schwierige Frage, weil da ja auch viel Klischee mitschwingt, was die Menschen in Ostwestfalen-Lippe angeht. Denen wird nachgesagt, sie seien stur, zurückhaltend, introvertiert, usw. Ich finde aber, es kommt immer sehr stark darauf an, wie es in den Wald hineinruft. Bin ich also vielleicht als Moderatorin schuld, dass die Leute nicht anrufen? Oder dass die, die anrufen, mit mir nicht richtig sprechen wollen? Je nachdem wie die Menschen angesprochen werden, so reagieren sie ja auch. Wenn man ihnen das Gefühl gibt, dass man sie ernst nimmt und gerne mit ihnen sprechen möchte, sich für sie interessiert, dann kommt das auch zurück. Egal wie Menschen möglicherweise regional beschrieben werden oder wie sie drauf sind. In Köln wird’s auch Leute geben, die stur und introvertiert sind…
Ich freue mich über eine Entwicklung, ich habe das Gefühl, dass die Leute häufiger bereit sind mit uns zu sprechen. Und woher kommt das? Weil wir uns alle bemühen, den Menschen zu zeigen, dass uns wirklich interessiert, was sie zu sagen haben. Vielleicht ist das Problem heutzutage, dass viele Menschen das Gefühl haben, von den Medien irgendwas aufgedrückt zu bekommen. Deswegen ist es wichtig, mit den Menschen ins Gespräch zu kommen. Nicht Tür und Tor aufzumachen für krude Theorien, sondern die Menschen in ihrem Alltag abzuholen.
Dem Medium Radio wurde schon oft der langsame Untergang vorausgesagt. Bisher war das zum Glück immer falsch. Wieso hat Radio im Alltag nach wie vor so einen hohen Stellenwert?
Zum einen hat es viel mit den Persönlichkeiten zu tun, die da am Mikro sind. Es hat damit zu tun, jeden Morgen mit einer bestimmten Stimme aufzustehen, mit einer bestimmten Stimme durch den Tag zu gehen, Feierabend zu machen. Das hat damit zu tun, dass der Mensch ein Gewohnheitstier ist, glaube ich.
Und – wenn ich das weiter spinne, würde ich sagen, die Menschen suchen ein bisschen Halt im Leben. Bei allem Verlangen, was so aufgekommen ist in den letzten Jahren: Sich seine eigenen Playlisten zu erstellen, sich unabhängig zu machen, die Leute wollen selbst entscheiden, wann sie was hören, wann sie was sehen – das ist mit Sicherheit alles ein Faktor. Ich habe manchmal das Gefühl, dass die Leute damit aber auch ein bisschen überfordert sind mittlerweile. Das Ding ist irgendwie ausgereizt und viele haben das Gefühl „Boah, ich möchte mir jetzt nicht noch was selbst zusammenschustern. Ich möchte morgens das Radio anmachen und hören: Was ist Phase? Was ist gerade los in der Welt? Was ist bei mir um die Ecke passiert? Was sind gerade so die Hits?“ Da werden auch Titel dabei sein, die nicht jedem gefallen, aber zumindest muss ich mir das nicht selber noch raussuchen. Es ist eben der Tagesbegleiter.
Es ist dieser morgendliche Kopfstreichler: „Pass auf: Das und das ist gelaufen, ich bring dich jetzt trotzdem gut durch den Tag.“ Oder: „Guck mal hier, es haben sich positive Sachen entwickelt. Das möchte ich dir erzählen.“
Was denkst du, vor welchen Herausforderungen Radio steht?
Die Herausforderung liegt ganz klar darin, was ich eben schon beschrieben habe. Die Leute schwanken hin- und her zwischen: Ich brauche diesen Halt und ich bin überfordert davon, mir alles selbst raussuchen zu müssen. Aber irgendwie will ich es auch. Wenn ich mir z.B. Sachen von Spotify angucke, da gibt es Playlists, da gehst du rein, da sind dann 3 oder 4 Titel drin und dann ist so ein News-Podcast drin und dann nochmal 3 Titel. Da denke ich mir: Leute, das ist Radio! Dann macht doch einfach das Radio an (lacht). Das finde ich dann Quatsch. Da könnte man einfach den heimischen Sender unterstützen und einschalten, weil es ja gar nichts anderes ist. Trotzdem ist genau das die Herausforderung: Dass das Radio nicht individualisierbar ist für die Hörer. Stattdessen sind da Leute, die entscheiden, welche Themen vorkommen, ohne dass man darauf akut Einfluss hat vorher.
Und da liegt die Herausforderung beim Radio, die Leute trotzdem bei der Sache zu halten. Und das kann man meiner Meinung nach nur, indem man versucht ein Vertrauensverhältnis zu den Menschen aufzubauen. Und zwar über Persönlichkeit, auch selbst zeigt: Ich bin auch nicht perfekt. Ich fahre mal mit dem Auto zur Arbeit und nicht mit dem Fahrrad. Ich weiß, das ist schlecht für die Umwelt, aber es ist jetzt mal so. Und vielleicht haben wir zusammen ein schlechtes Gewissen. Das gehört halt auch dazu.
Und wenn du jetzt nochmal spinnen darfst – wie funktioniert Radio in 5 bis 10 Jahren? Noch so wie heute?
Wenn ich spinnen dürfte, würde ich sagen, dass Radio gesprächiger wird. Ich versuche das zu erklären: Ich habe das Gefühl, dass die Leute in den letzten Jahren mehr und mehr das Bedürfnis nach persönlichen Gesprächen haben. Ich glaube, das kommt auch ein bisschen daher, dass viele den ganzen Tag nur aufs Handy gucken und bei Social Media unterwegs sind, bei Instagram und wir in einer ganz oberflächlichen Welt sind. Das will ich gar nicht als negativ abtun, denn das ist einfach der Lauf der Dinge, die Welt ändert sich und die Medien ändern sich, der Medienkonsum ändert sich. Aber daraus entwickelt sich meines Erachtens nach eben auch das Bedürfnis nach persönlichen Gesprächen.
Bisher war es so: Radio ist das Begleitmedium und ein Radiobeitrag muss möglichst kurz sein, maximal 1:30 Minuten. Ich hab das Gefühl, dass sich der Medienkonsum ein bisschen ändert und die Leute ein entschleunigter sind. Und dass es auch in Ordnung ist, wenn Beiträge und Gespräche länger sind als 1:30 Minuten. Ich glaube, wenn man wirklich intensive Gespräche mit den Hörern führt, dass auch andere dann dranbleiben. Das würde fürs Radio heißen, dass sich die Beitragslänge vielleicht ändert und dass die Leute vielleicht auch Bock darauf haben mal 5 Minuten zuzuhören statt nur 1,5 Minuten. Ich hab das Gefühl, dass sich das in Zukunft intensivieren wird.
Wenn ich jetzt technisch spinnen dürfte, würde ich es spannend finden, wenn sich das Thema skipbares Radio mehr etablieren würde. Es gibt ja Modelle, wo das schon funktioniert, aber ich glaube, dass es auch ein größeres Thema werden wird bei kleineren Sendern. Dass man z. B. als Hörer, wenn einem ein Titel nicht gefällt, einfach weiter skippen kann. Und dann guckt man halt, was ist mein Geschmack und zwischendurch hört man dann die Beiträge, die die anderen auch gerade hören. Das ist eine Sache, die das Radio auf jeden Fall weiterbringen wird.