Anno 2022: Wie sich das Hören entwickelt

Von Uwe Wollgramm, veröffentlicht am 11. Januar 2022

Es bedarf keines Blickes in die berühmte Glaskugel um vorauszusagen, wie sich der Audiomarkt im Jahr 2022 entwickeln wird. Der Trend ist vorgezeichnet: Die Menschen hören mehr und mehr – und viele hören bewusster zu.

In allen einschlägigen Studien der vergangenen Monate und Jahre ist deutlich geworden, dass der Konsum von Audioinhalten stetig zunimmt. Getrieben von großen Aggregatoren, Smartspeakern und Sprachassistenten kommt dem Hören eine immer größere Bedeutung zu. Das gesprochene Wort erlebt dabei einen deutlichen Aufschwung.

Die klassische terrestrische Radionutzung in Deutschland nimmt nach und nach ab – mit deutlichen Unterschieden in den Programmkonzepten. Dudelfunk mit populärer Musik im Fokus ist auf dem absteigenden Ast. Langsam zwar, aber doch im Zehn-Jahres-Trend der Medienanalysen klar erkennbar. Musikstreamingdienste wie Spotify oder Apple Music versuchen dem traditionellen Radio in Sachen Musik den Rang abzulaufen – und reichern ihr Angebot inzwischen zum Teil mit Informationen an - ähnlich wie ein Radio.

Radiomacher müssen sich neu orientieren

Wenn also die Musik nicht mehr der wichtigste Einschaltimpuls ist, müssen sich viele Radiomacher neu orientieren. Wohl denen, die von je her ein anderes Alleinstellungsmerkmal hatten und haben, nämlich lokale Nachrichten, lokale Servicebeiträge und lokale Werbung. Während die Tagesreichweiten und Verweildauern fast aller großen deutschen landesweit verbreiteten Radiostationen zurückgehen, ist die Hörerakzeptanz der NRW-Lokalradios in den vergangenen Jahren stabil geblieben. In Westfalen sind die Lokalradios nahezu überall in ihren Sendegebieten klare Marktführer. Daran werden auch über den Verbreitungsweg DABplus seit November 2021 neu hinzu gekommene landesweite Programme nichts ändern, denn die Nutzung von DABplus in Nordrhein-Westfalen ist schwach, und die Lieblingsprogramme der Bürger sind über diesen Weg nicht empfangbar.

Die Herausforderung für die Lokalradios besteht darin, ihre sehr bekannten und beliebten Marken in die digitale Welt zu überführen. Dies gelingt den Lokalradios in Ostwestfalen-Lippe mit ihren Websites und Apps bereits sehr gut, was die während der Corona-Pandemie sprunghaft gestiegene Zahl der Besuche auf bis zu 13,5 Millionen Visits pro Monat beweist.

Online Audio lautet das Zauberwort – Radiohören übers Internet, entweder über einen stationären PC oder über ein Smartphone, ein Tablet oder einen Smartspeaker wie zum Beispiel Amazon Alexa – oder auch über das internetfähige Autoradio. Dies sind die Geräte, mit denen immer mehr Menschen Radio und Audio allgemein konsumieren.

Audio On Demand

Ein weiteres Schlagwort ist „Audio On Demand“. Die Tendenz geht ein Stück weit weg von der linearen, also der Live-Nutzung von Audioinhalten, hin zu einem orts- und vor allem zeitunabhängigen Konsum.   

In diesem Kontext ist auch der vor etwa drei Jahren in Deutschland eingesetzte Boom von Podcasts zu betrachten. Immer mehr Menschen aller Generationen abonnieren Podcasts – übrigens fast ausschließlich kostenfrei. Viele laden die Podcastepisoden auf ihre Endgeräte herunter und hören sie dann an, wenn sie Zeit und Muße dazu haben. Es handelt sich also um einen ganz bewussten, ungestörten Medienkonsum, anders etwa als beim linearen Radio, das als „Nebenbeimedium“ gilt und oft unterbewusst wirkt. Bei Podcasts ist die Aufmerksamkeit des Hörers nachgewiesenermaßen auf den Inhalt gerichtet – entsprechend groß ist auch die Wirkung von Werbebotschaften, die in den Podcastinhalt eingebettet sind.   

Auf dem Podcastmarkt etablieren sich – bevorzugt mit Autorinnen und Autoren aus den Radioredaktionen heraus – auch heimische Produzenten wie zum Beispiel die Bielefelder Podcastfabrik, die sich in den vergangenen Jahren zu einem der deutschlandweit führenden Konzeptioner und Produzenten von Podcasts zur Unternehmenskommunikation entwickelt hat. Die Podcastfabrik bringt daneben auch eigene Formate hervor, die sich entweder an sehr breite oder an Special-Interest-Zielgruppen richten.

Die Vermarktung von Podcasts steckt in Deutschland noch in den Kinderschuhen. Hauptursache ist, dass es bisher keine allgemein anerkannte, standardisierte Reichweitenmessung gab. Das ändert sich jetzt. Die Arbeitsgemeinschaft Mediaanalyse (ag.ma) führt momentan eine entsprechend zertifizierte Reichweitenmessung für Podcasts ein. Diese bildet die Grundlage für die Preisgestaltung auf dem Werbemarkt und für die Mediaplanung.    

Insgesamt wird in Deutschland das Angebot an Podcasts von Woche zu Woche größer, breiter und zugleich auch unübersichtlicher.

Den Nutzern fällt es zunehmend schwer, qualitativ hochwertige Audioinhalte, die sie persönlich interessieren, zu finden. Sie benötigen Orientierung. Deshalb ist es auch eine wichtige vielfaltssichernde Aufgabe der Medienaufsichtsbehörden, die Auffindbarkeit unabhängiger journalistischer Audioinhalte im Dschungel der Medienplattformen und Aggregatoren zu gewährleisten. Das Jahr 2022 wird in dieser Hinsicht zukunftsweisend.

Es gilt frühzeitig Regeln aufzustellen und durchzusetzen, nach welchen Kriterien die sogenannten Intermediäre ihren Nutzern Inhalte bereitstellen müssen. Andernfalls werden die GAFAs aus Übersee (Google, Amazon, Facebook, Apple) auch den deutschen Medienmarkt bald deutlich beherrschen – mit negativen Folgen für die Angebotsvielfalt und für die Meinungsfreiheit.

Nachgefragte Inhalte

Und welche Inhalte werden vom Hörer verstärkt nachgefragt? - „Die Gesellschaft sucht heute nach Botschaften, Mustern und nachhaltigen Werten.“ Diese These hat Valerie Weber, die unterdessen vorzeitig auf eigenen Wunsch ausgeschiedene Hörfunkdirektorin des Westdeutschen Rundfunks (WDR), im Oktober 2021 bei den Medientagen in München aufgestellt. Ferner hat sie gesagt: „Die Aufmerksamkeits-Ökonomie erfordert neue, sinnhaltige Angebote. Angebote, die darauf perfektioniert sind, nicht zu stören, reichen nicht.“

Den Nutzungsgewohnheiten der Menschen folgend mehr sinnhaltige Audioinhalte anzubieten, den Nutzern Orientierung zu geben, sie für sich zu gewinnen und sie an sich zu binden, den GAFAs etwas Eigenes entgegenzusetzen, dies ist im Jahr 2022 eine wesentliche Herausforderung für die Medienunternehmen und öffentlich-rechtlichen Medienanstalten in unserem Land. Eine Aufgabe, die an besten gemeinsam zu meistern wäre.

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Uwe Wollgramm

ist seit 2000 Geschäftsführer sowohl von ams - Radio und MediaSolutions als auch von den Betriebsgesellschaften der Lokalradios in Ostwestfalen-Lippe und im Kreis Warendorf. Als socher verantwortet er die wirtschaftliche Entwicklung der sieben Radiosender.